Heuristiken und Repertoires kollektiver Sicherheit im völkerrechtlichen Vergleich

Die Profes­sur des Forschungs­gruppenleiters an der Jus­tus Liebig-Universität Gießen ist Teil des inter­diszipli­nären Sonderf­orschungs­bereichs/Transregio 138 „Dynamiken der Sicherheit“. Forschende der Philipps-Universität Marburg und der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie des Herder-Instituts für historische Ost­mittel­europa­forschung widmen sich seit April 2014 im SFB/TRR 138 dem Thema "Dynamiken der Sicherheit. Formen der Ver­sicher­heitlichung in histo­rischer Perspektive". Sie unter­suchen, wie sich in der Geschichte Vor­stellun­gen von Sicherheit ent­wickelten und wie diese in den politi­schen Prozess gelang­ten. Dabei geht es um die Dar­stellung und die Her­stellung von Sicherheit – Vorgänge, die einander bedingen und deren Ver­hältnis in historisch unterschied­lichen Dynamiken und Prozess­strukturen erforscht werden soll. Diese dy­namischen Pro­zesse fasst der SFB/TRR 138 beg­rifflich als „Versicher­heitlichung“.

Auf der Grund­lage der in der ersten Förder­phase gewonnenen Erkennt­nisse soll das völker­rechts­wissen­schaftliche Teilprojekt auch in der zweiten Förderphase der Frage nachgehen, ob und unter welchen Voraus­setzungen Ver­sicher­heitlichung zwischen­staatlicher Bezie­hungen nicht nur zu völker­rechtlichen Institutiona­lisierungs­prozessen, sondern auch zur Kollek­tivierung inter­nationa­ler Sicherheit führt.

Der Forschungs­anreiz für Teilprojekt A04 entspringt einer sich wandeln­den Dynamik des Völkerrechts. Inter­nationale Sicher­heit wird seit dem Ende des 20. Jahr­hunderts nicht mehr primär durch völker­rechtlich institutio­nalisiertes kollek­tives Handeln, etwa in Form universell-kollektiven Agierens oder der Ein­richtung und aktiven Aufrecht­erhaltung inter­nationaler Sicherheits­organisationen angestrebt, sondern durch zu­nehmende (Selbst-)Isolation einiger Akteure sowie uni- oder bilaterales Eingreifen. Diese Ent­wicklung steht in Kont­rast zu den Bemü­hungen um Verrecht­lichung und Institutio­nalisierung vor allem nach den beiden Welt­kriegen im 20. Jahr­hundert und der damit einher­gehenden Kollek­tivierung inter­nationaler Sicher­heit. Hierauf beruht die Frage nach dem Verhält­nis von Ver­sicherheit­lichung einerseits und völker­rechtlichen Institutionali­sierungs- und Kollektivierungs­prozessen anderer­seits in der wegbereitenden Vorphase der beiden großen internatio­nalen Friedens­sicherungs­organisa­tionen des 20. Jahrhunderts, des Völker­bunds und der Vereinten Nationen.

Der in der ersten Förder­phase in der Aus­einander­setzung mit politik­wissenschaft­lichen Theorien für das Verbund­vorhaben (weiter-)entwickelte und konkre­tisierte Ansatz, dies durch die Pers­pektive der Versicher­heitlichung zu erforschen, eröffnet durch seine Frage nach der Einstufung einer Situation als sicher­heitsrelevant, den dabei maß­geblichen Heuristi­ken und den zur Ver­fügung stehenden Handlungs­optionen (Repertoires) eine gerade auch für die Völkerrechts­wissenschaft hilfreiche Pers­pektive, wenn man Verrecht­lichung und Institu­tionalisie­rung ebenso wie die Ent­faltung des Konzepts kollek­tiver Sicher­heit jeweils als Reper­toires versteht, mit denen wahr­genommene Sicherheits­probleme bearbeitet werden.

Im Zentrum der zweiten Förder­phase stehen drei als Promotions­projekte ausgestaltete Vor­haben, von denen sich zwei unmittel­bar mit der Praxis des Völker­bundrats und des VN-Sicherheitsrats im Vergleich auseinander­setzen, während das dritte dem humanitär-völkerrechtlichen Unterscheidungs­grundsatz nachgeht. Alle drei Arbeiten fragen, unter welchen Voraus­setzungen und auf der Grund­lage welcher Heuris­tiken eine Situa­tion als sicherheits­relevant eingestuft wird (im Fall des Völker­bundrats die Definition des „Krieges“ oder der „Bedro­hung mit Krieg“ als „Angelegen­heit des ganzen Bundes“ i.S. von Art. 11 der Satzung); im Fall des VN-Sicherheits­rats die in Art. 39 der VN-Charta genannten Voraussetzungen; im Fall des Unterscheidungs­grundsatzes das Vorliegen eines (internatio­nalen oder nicht-internationalen) bewaff­neten Konflikts und welche Reper­toires zur Verfügung stehen, um (kollektiv) darauf zu reagieren („die zum wirksamen Schutz des Völkerfriedens geeigneten Maßnahmen“ i.S. von Art. 11 der Satzung des Völkerbunds; die Handlungsoptionen des VN-Sicherheitsrats nach Art. 40-42 der VN-Charta; der Unterscheidungs­grundsatz, insbesondere die Definition „militärischer Ziele“ i.S. von Art. 52 Abs. 2 des Ersten Zusatz­protokolls von 1977 zu den Genfer Ab­kommen von 1949). Diese Dissertations­projekte werden ergänzt durch drei von den Teil­projektleitern gemeinsam verfolgte Vorhaben, die eine Versicher­heitlichung­sperspekt­ive auf das Recht internationaler Organi­sationen entfalten, die insti­tutionelle Aus­gestaltung der Durch­setzung humanitär-völkerrechtlicher Normen als Reper­toire zu erfassen suchen und den Teil­projekt­ansatz im Rahmen einer Tagung zur völker­rechtlichen Analyse der friedens­sichernden Praxis des Völker­bundrats zur Diskus­sion stellen sollen.

Informationen zur ersten Förderphase des Projekts finden sich auf der Website des SFB 138.

Projektleitung:

Förderer

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
www.dfg.de